Auch die halbautomatische Abseitstechnologie hat natürlich einen Messfehler
Die Diskussionen um die halbautomatische Abseitstechnologie nach dem Abseitstor gestern irritieren mich.
Viele sind fest der Meinung, dass das System fehlerfrei arbeitet. Und es deshalb klar ein Abseits war.
Das stimmt einfach nicht. Jedes Messsystem hat einen systematischen und einen statistischen Fehler. Deswegen werden die Systeme von der FIFA zertifiziert und im Stadion regelmäßig kalibriert.
Das Ergebnis: Der vom Herstellers angegebene Fehler liegt bei ±12,5cm.
Mehrere Kameras um den Platz machen alle 25ms ein Bild. Ein AI gestütztes System erstellt daraufhin für jeden Spieler ein virtuelles Skelett anhand von 29 Punkten, die es versucht zu erkennen. Da weder die Objektive, Timings, die Analyse noch die zeitliche Auflösung perfekt sind, gibt es immer Abweichungen.
Die FIFA erlaubt bei der räumlichen Messung auf dem Feld ein Fehler von ±2,5cm.
Durch die niedrige Bildfrequenz wird zudem der genaue Zeitpunkt der Ballberührung nicht ausreichend erkannt.
Viel problematischer jedoch: Die Körpererkennung.
Wie gesagt wird ein virtuelles Skelett erzeugt, das die Ausmaße des Körpers der Spielers aber nicht berücksichtigt. Die Länge des Schuhs und die Breite der Glieder wird dabei nur mit durchschnittlichen Werte visualisiert.
Aber auch die Punkte des Skelett sind nicht sehr akkurat. Für die Lizenzierung der FIFA gibt Richtlinien: Die einzelnen, erkannten Körperpunkte dürfen maximal 15cm neben den echten liegen, im Durchschnitt unter 10cm.
Um zertifiziert zu werden, dürfen die Messungen in maximal 5% der Fällen die erlaubten Toleranzen überschreiten.
Die Prüfungsberichte der FIFA sind jedoch eindeutig: In Situationen mit vielen Personen nah aneinander und in der Nähe der Strafräume ist die Zuverlässigkeit deutlich geringer und der Fehler häufig überhalb der Vorgabe.
Die Kameras können einfach nicht viel erkennen in den Situationen. Das Skelett des Spielers kann nicht vollständig rekonstruiert werden.
Der Hersteller Hawk-Eye gibt für seine Abseitserkennung innerhalb der Software deshalb einen Fehler an von ±12,5cm. In diesem Bereich stuft es die Situation als „möglicherweise Abseits“ oder „möglicherweise kein Abseits“ ein.
Das System ist also für Situationen unter 25cm einfach nicht zuverlässig, da mögen die Animationen noch so schön sein. In der Regel gilt dann: Im Zweifel gilt das Tor.
Und das wurde dieses Mal einfach nicht beachtet.
Kurze Anmerkung zur Angabe des Fehlers von Hawk-Eye selbst für Ihre Ballerkennung: Sie nennen einen Fehler von 3,6mm an. Jedoch bezieht sich der Wert auf einen Tennisball (kleiner als ein Fußball) auf einem Tennisplatz (kleiner als ein Fußballplatz) beim Auftreffen auf den Boden (2 Dimensionen statt 3 Dimensionen).
Das offizielle Datenblatt für die Ball- oder Skeletterkennung von Hawk-Eye ist leider nicht öffentlich einsehbar. Deshalb beziehe ich meine Daten von der FIFA, Studien und Artikeln.